Anforderungs-Management in agilen Zeiten – muss das wirklich sein?

Ein Fachbeitrag von Joachim Seidler, Segment Manager Industry 

Der Titel klinkt provokant und das ist, offen zugegeben, reine Absicht. Bei der Entscheidung ein Projektvorhaben agil durchzuführen, bewegt man sich in der Regel in einem empirischen Umfeld. Das Ziel (Produkt) ist nicht unmittelbar und im Detail beschreibbar, der Weg ist quasi Teil des Ziels. Wie widmet man sich unter diesen Bedingungen dem Thema Anforderungsmanagement (Requirements Engineering)?

Laut reiner Scrum-Lehre erstellt und pflegt der Product Owner ein Register (Backlog) seiner Anforderungen an das Produkt. Das klingt überschaubar, verschleiert aber etwas, wie wichtig dieses Product-Backlog und die Rolle Product Owner für den Projekterfolg sind.

Strukturiertes Projektumfeld

Im strukturierten Projektumfeld werden Anforderungen idealerweise durch Requirements Engineers aufgenommen, dokumentiert und der Entwicklung zugeführt. Der Prozess sieht dabei eine längere Phase der Anforderungserhebung zu Projektbeginn vor und nach dem Entwicklungsstart geringere Aktivitäten in Richtung Anforderungserhebung (abgesehen von Änderungen).

Agiles Projektumfeld

Im agilen Projektumfeld erfolgt das Anforderungsmanagement fortlaufend während des gesamten Projektverlaufs. Also ernennen wir den Requirements Engineer einfach zum Product Owner und lösen damit die Herausforderung? Ausschlaggebend bei einer solchen Entscheidung ist, sich bewusst zu machen, dass der Product Owner über die gesamte Projektlaufzeit Teil des Teams ist.

Anforderungsmanagement

Das Anforderungsmanagement ist nicht eine Phase, sondern kontinuierlicher Teil des Prozesses. Als Product Owner gilt es ergänzend viele Disziplinen wie Kommunikationsstärke, Team- und Unternehmergeist, Entscheidungswille und tiefes Produktverständnis zu beherrschen. Mit Themen, Epics und User Stories wird das Product Backlog fortlaufend gepflegt und es werden Sprints geplant. Sprint-Ergebnisse werden gegen die Ziele geprüft und die Erfahrungen im weiteren Verlauf berücksichtigt. Der ewige Kreislauf des Lebens…ähm, agilen Vorgehens nach Scrum natürlich.

In einer Vielzahl der Informationsquellen zur Rolle des Product Owner werden Anforderungen (Product Backlog Items) konzentriert auf die funktionalen Eigenschaften des Produkts diskutiert und vorgestellt. Als erfahrener Requirements Engineer wird schnell bewusst, dass es viele weitere Aspekte gibt, welche essenziell für die erfolgreiche Produktentwicklung sind. Konkrete Beispiele hierfür sind Sicherheitsaspekte, Leistungsanforderungen, Systembetrieb oder Datenschutz.

Das agile Vorgehen fördert auch die evolutionäre Entwicklung übergreifender Aspekte wie die Architektur eines Produkts. Änderungen an solch übergreifenden Bestandteilen bei fortgeschrittenem Projekt erfordern großes Geschick und bergen einiges an Risiken. Daher folgende Tipps:

  • ergänzend zum Product Backlog eine Dokumentation des „großen Ganzen“ pflegen 
  • übergreifende Aspekte früh mit dem Team diskutieren 
  • Product Ownership intensiv leben und Austausch mit Team und Stakeholdern aktiv suchen, auch abseits agiler Events

Anforderungsmanagement ist gerade in agilen Projektumfeldern essenziell und ein Schlüsselfaktor zum Erfolg.